Dein Leben ist kein Vertrag
Brich den Bann
Esther Guggisberg
Wir alle werden in dieses Leben geboren. Aus der Symbiose des Mutterschosses in die Getrenntheit und die oftmals harte Realität des irdischen Daseins. Bereits mit dem ersten Atemzug, nein oftmals schon mit der Idee der Eltern, besitzen wir eine Identität.
Du wirst in eine Familie und eine Gesellschaft hineingeboren, die du nicht gewählt hast. In eine Kultur, die nicht von dir gemacht wurde. Dein Körper erhält einen Wert – dein Geschlecht wird definiert und deine Herkunft hat Konsequenzen. Deine Eigenarten und Macken bekommen saubere und praktische Etiketten. Dein grundlegendes und tief verwurzeltes Wesen wird identifiziert, geprägt und verpackt, womit dir deine lebenslange Rolle auf den Leib geschrieben wird. Du magst dich okay finden, du magst dich verurteilen oder gar verachten für eine Wahl, die du jedoch nie selbst bewusst getroffen hast. Und so beginnt deine lebenslange Vereinbarung – von deinen Eltern entworfen. Deinen Lehrern, deinem Umfeld, der Gesellschaft mitgestaltet.
Es kann sein, dass du dich wehrst und nicht mehr gehorchen willst. Doch immer wieder fällst du zurück. Du versuchst, zu entsprechen, hineinzupassen und die Erwartungen anderer zu erfüllen. Denn in jungen Jahren bist du formbar und musst dich unterordnen, um in deine Familie und eine Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Während du heranwächst, lässt du dich zurechtstutzen. Du wirst geformt, gestaltet und von Händen zurechtgebogen, die nicht deine eigenen sind, um einem Bild zu entsprechen, das jemand anderes für dich vorgesehen hat. Du wirst in die Passform gegossen und abgeschliffen, zu einer gewünschten Realität geformt.
So erfüllst du deinen Teil, bis du nicht mehr unterscheiden kannst, wo die Rolle endet und deine innere Wahrheit beginnt. Du glaubst, was dir erzählt wird und vertraust darauf, dass diese Realität, dich und dein Wesen überhaupt erst zusammenhält. Ohne diese Vorstellung würdest du dich auflösen, nicht mehr existieren, sterben. Und so lernst du, alles zu fürchten, was dieses Hinterfragen herausfordert. Du bewegst dich in immer enger werdenden Kreisen – vielleicht versuchst du, immer wieder auszubrechen. Vielleicht behältst du aber auch starr deine Form, deine Haltung. Vom Anfang bis zum Ende diesen engen Standpunkt behaltend, nie davon abweichend. Alles ist in Stein gemeisselt, deine Psyche hält Eventualitäten, Andersartigkeit nicht aus. Es würde sie erschüttern, dich um jeden Halt bringen. Und dann? Unmöglich, nie im Leben!
Es kann sein, dass du dieses System bereits in den Anfängen bekämpfst. Anders und unangepasst wirst du einer von aussen gegebenen Form nie entsprechen. Oder du realisierst den Schleier der Verzerrung ganz langsam. Dann erwachst du aus dem Tiefschlaf. Es ist ein böses Erwachen. Unangenehm, schmerzhaft, vielleicht sogar schockierend. Gezeichnet von einer tiefen und quälenden Krise der eigenen Psyche, einer Katharsis, die den Abschied des alten Selbst und die Geburt der eigenen Identität beinhaltet.
Du wirst mit der schmerzhaften Realität konfrontiert, dich vom Alten lösen zu müssen. Alte Muster, alte Anhaftungen, alte Beziehungen, alte Sicherheit. Denn sie halten dich davon ab, deinen eigenen Weg zu gehen und das Neue in dir zu entwickeln. Das kann eine erschütternde Erfahrung für dich und für diejenigen sein, die denken, dich zu kennen – nicht alle, die du liebst und die du gerne bei dir haben möchtest, sind bereit für die Veränderung. Deine Eltern und Geschwister, deine Partner und Kinder, deine Familie und Freunde. Es kann sein, dass sie nicht bereit sind, auf dich in deiner alten Form zu verzichten. Denn der Wandel in dir fordert auch sie und ihr Bewusstsein heraus – ihre eigene Sichtweise und sogar ihre eigene Identität.
So kann es sein, dass du dich zusammenreisst, dich zurückhältst, es aufzuhalten versuchst. Dass dir deine wahren Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen peinlich werden und du dich dafür schämst. Unbewusst oder bewusst merken das auch die anderen. Du spürst, wie über dich geredet wird und du dich noch unwohler fühlst. Immer mehr kommt zusammen, du zweifelst an dir selbst, an deinem Wert, an deinem Verstand, wirst irrational, instabil. Du versuchst, gut zu dir zu schauen und wirst als egoistisch und egozentrisch bezeichnet. Bis dir das schneidende Schwert vorgehalten wird: «Du hast dich verändert.»
Ja. Und die Veränderung ist gut. Egal, wohin oder in was du hineingeboren wirst, egal, welche Erwartungen dir bereits als Kind aufgebürdet wurden, egal, welche Rolle du als Erwachsene einnehmen solltest – du bist keineswegs verpflichtet, für immer gleich zu bleiben. Du musst weder dem eingeschlagenen Weg folgen, noch musst du dich an deine früheren Aussagen und Entscheidungen halten. Und du bist nicht an die Erwartungen anderer gekettet.
Nimm Veränderung und Entwicklung an. Auch wenn es schmerzhaft, selten leicht oder gar bequem ist. Bevor etwas gänzlich abstirbt, transformiere es sich. Dein Horizont kann sich nicht weiten, wenn du dich nicht selbst dazu aufforderst, Einschränkungen und Begrenzungen zu durchbrechen. Lasse zu, dass der Fluss des Lebens deine Form verändert. Nimm deine Verantwortung an und entdecke in deinen Sehnsüchten und vergrabenen Träumen, was noch alles zu dir gehört. Nimm dein Schicksal in die Hand. Ja, das sollten wir alle tun – als Individuen, aber auch in unserer Familie, als Gesellschaft. Unserer Leidenschaft Ausdruck verleihen, diese Welt bewusst und liebevoll bereichern und dafür einstehen.
Du hast vor deiner Geburt keinen Vertrag für dein Leben unterzeichnet. Auch hast du nicht mit Blut unterschrieben, dass du deine Autonomie, deine Selbstverantwortung und Souveränität abgeben musst. Es wird Zeit, dass du den Bann brichst. Gib dir selbst die Erlaubnis, dein eigenes Leben zu gestalten und es mit Liebe und Hingabe zu leben.
Transformiere in Selbstliebe: Metamorphosis