Irische Spiritualität
St Patrick und das keltische Erbe
Esther Guggisberg
Irland ist offiziell christlich. Die meist verbreitete Religion ist der Katholizismus. Irland hat eine ganz besondere Geschichte, was die Christianisierung und ihre eigene Spiritualität anbelangt. Denn nicht primär durch Kriege und Verfolgung, denn mehr durch ein Einweben löste das Christentum im 5. Jahrhundert den damals verbreiteten heidnischen Glauben ab. Die Natur und ihre Faszination, daraus entstandene Mythen und Sagen, Verzicht und Verluste – alles fliesst in die irische Spiritualität mit ein.
Keltische Vergangenheit
Irland war – wie der Rest Europas – vor der Christianisierung heidnisch, pagan und polytheistisch. Die Menschen lebten sehr naturverbunden, im Zyklus des Jahreskreises. Sie verehrten mehrere Gottheiten und das Göttliche in den Wundern der Natur – zum Beispiel in der Sonnenkraft oder der Schöpfungskraft der Frau, Leben zu spenden.
Die Völker, die damals Irland bewohnten, werden Kelten genannt. Ähnlich den Stämmen in Britannien und des bretonischen Frankreichs entspringen sie einer Kultur, die sich gemeinsam unter dem Keltentum und der keltisch-gälischen Sprache sammelt. Sie lebten in Stämmen, in Tribes, und es ist wie auch im restlichen Europa so, dass sich diese Stämme eigenen Namen gegeben und sich damals somit nicht geeint als «Kelten» bezeichnet haben. Der Begriff wurde erst viel später geprägt.
Newgrange
Eines der wohl spannendsten Wunder Irlands ist das über 5000 Jahre alte Newgrange, ein riesiger Grabhügel aus Megalithen, mit seinen Nachbarshügeln Knowth und Dowth im Boyne Valley, dem Tal der Könige. Eine Konstruktion innerhalb des Hügels von Newgrange erlaubt seit über 5000 Jahren am Morgen des 21. Dezembers der Sonne über ein kleines Steinfenster ihr Licht für ein paar Minuten bis ins Innere des Grabhügels zu werfen. Diese Begebenheit wurde erst im letzten Jahrhundert entdeckt und regt zum Nachdenken über die Fähigkeiten und die zyklische Naturverbundenheit dieser Siedler an. Ausserdem ist auf einem der dort liegenden Megalithen eine der ältesten Triskelen eingeritzt – ein wichtiges Symbol bei den keltischen Völkern.
Der Mythos der Tuatha de Danann
Die Legenden der Kelten bzw. gälischen Siedler Irlands finden sich ab dem 6. Jahrhundert vor Christus. Diese Siedler teilten sich in Stämme auf und unterteilten Irland in die Regionen Ulster, Nord- und Süd-Leinster, Munster und Connaught. Es ranken sich viele Mythen um deren Herrscher, Könige und die Schlachten, die geschlagen wurden. Realität und Mythos vermischen sich zu sagenhaften Legenden.
Das Volk der Tuatha de Danann, die Anhänger der keltischen Göttin Danu, ist eng verwoben in der keltisch-irischen Tradition. Diese stellten das keltische Herz, die spirituelle Seele der Bewohner Irlands dar. Sie sollen mit Schiffen angereist sein und sich das Land vom Volk der Firbolg genommen haben. Sie verteidigten die Insel gegen Angriffe durch die Fomorian, verloren Irland später aber an die Milesier. Von den Milesiern sollen die heutigen Iren abstammen, denn sie bekamen die sichtbare Welt und die Tuatha de Danann die Anderswelt. Zu den Tuatha de Danann gehören nebst der Göttin Danu auch Brigid und die Morrigan. Die Tuatha de Danann waren ein Volk der Künstler, der Dichter und Poeten, sie kannten Wissenschaften, betrieben die Kunst der Magie und lebten äusserst naturverbunden. Auch das Handwerk und Wissen der Druiden wird mit ihnen in Verbindung gebracht.
In Irland fliesst ihr Mythos immer noch in Spiritualität und Alltag mit ein. Noch heute finden wir bei vielen Bed & Breakfasts den Namen «Tir na nOg», das Land der ewigen Jugend, die Anderswelt der Tuatha de Danann.
Irlands Christianisierung durch St Patrick
Während Europa in den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung christianisiert wurde – so auch Britannien gewaltsam durch die Römer – blieb Irland vorerst verschont. Irland sollte erst im 5. Jahrhundert durch den britischen Mönch Patrick zum Christentum bekehrt werden.
Der in England geborene Patrick war von Anbeginn im katholischen Glauben erzogen worden. Als er von irischen Plünderern nach Irland verschleppt und dort als Schafhirte versklavt wurde, gab ihm der christliche Glaube Halt und Hoffnung. So erhielt er mithilfe seines Glaubens einen Zugang zum dortigen Leben und entwickelte Zuneigung für Land und Leute. Der Legende nach sei ihm nach vielen Jahren ein Engel erschienen, welcher ihn zur Flucht und zur Rückkehr nach England aufgefordert hätte. Zurück in England soll er zum Priester ausgebildet worden sein. Viele Jahre später kehrte er nach Irland zurück, um die dortigen Bewohner zum Christentum zu bekehren. Er predigte, liess Kirchen errichten und gründete Klöster, reiste umher und missionierte bis zu seinem Tod – angeblich am 17. März 461. Deswegen feiern bis heute Millionen von Iren, irische Nachfahren und sonstige Irland-Fans jedes Jahr am 17. März den St Patricks Day – jedoch meist wenig christlich, denn mehr mit Musik, Tanz, Feiern und viel Bier.
Dass St Patrick die Schlangen aus Irland vertrieben haben soll, schmeckt jemandem wie mir in diesem Falle nicht besonders. Sind mit den «Schlangen» doch die Heiden gemeint. Angesichts der mehrheitlich friedlichen Christianisierung Irlands – im Vergleich zum restlichen Europa – kann man bei St Patrick in einem gewissen Sinne dennoch von Irlands Schutzpatron sprechen.
Irland und seine Verluste
Die Iren tragen eine spürbare Melancholie in sich, denn sie haben die Bitterkeit des Lebens oft erlebt. Gekennzeichnet durch Plünderung und Verwüstung erst durch die Wikinger ab dem 8. Jahrhundert, durch die Normannen ab dem 12. Jahrhundert und ab dem 15. Jahrhundert durch die Herrschaft Britanniens. Entbehrungen ein immer wiederkehrendes Thema. Doch der wohl schlimmste Schmerz, der der irischen Seele zugefügt wurde, war die Hungersnot von 1845-50. Durch den Verlust des grössten Teils ihrer Kartoffelernte hungerte die irische Bevölkerung. Über eine Million Iren starben und etwa zwei Millionen suchten im Auswandern nach einer neuen Lebensgrundlage. Die Trauer über diesen Verlust ist in die kollektive irische Seele eingeflossen.
Ebenso wie die Abhängigkeit durch die britische Besatzung und den Befreiungskampf vor rund 100 Jahren, der durch Terror, Tod und Zerstörung sowie den Verlust von Nordirland bis heute im irischen Herzen schmerzt.
Trauer und Verlust zeigen sich in der melancholisch sehnsüchtigen irischen Spiritualität, in ihrer Kunst, der Musik, in Kultur und Traditionen. Immer ein bisschen Wehmut, doch gepaart mit unglaublich bejahender Lebensfreude.
Keltisch-christliche Spiritualität
Wenn man sich heute mit der irischen Kultur auseinandersetzt und dieses traumhafte Land und seine liebenswerten Bewohner kennenlernt, wird schnell klar, dass sie ihre eigene Spiritualität erschaffen haben. Das keltische Herz schlägt immer noch kräftig und mischt sich mit christlichem Gedankengut.
Das wohl stärkste Symbol für die Vereinigung stellt das irische Hochkreuz dar, die Verbindung des christlichen Kreuzes (jedoch gleichschenklig wie aus der alten Tradition) mit dem heidnischen Symbol des immer wiederkehrenden Kreises.
Die irische Landschaft mit den grünen Hügeln und Tälern, den steilen Klippen und dem rauschenden Meer lässt nicht zu, dass man sich ihrer Faszination entzieht. Man kann nicht anders, als staunend stillzustehen und diese Magie in sich aufzunehmen.
Legenden und Sagen finden sich an jeder Ecke und durchtränken die Geschichte mit Spannung und Mystik. In Poesie und Dichtkunst, in Musik und Traditionen zeigen sich keltische Überbleibsel. Die fröhlichen Jigs & Reels repräsentieren die keltisch-irische Seele genauso wie die melancholischen Melodien der Tinwhistle, von Geige und irischem Dudelsack. Das Alltäglich-Weltliche wird mit der Spiritualität und dem Göttlichen verbunden. Und wie die Iren es gerne betonen: alles darf einen Segen bekommen. Die irische Tradition der «Blessings» ist weitverbreitet.
Vom ersten Moment an meiner ersten Reise nach Irland in 2002 – es folgten noch zahlreiche – war es um mich geschehen. Als wäre mir mein Seelenverwandter in der Form eines Landes, seiner Landschaft, seiner Traditionen und seiner Bewohner, wiederbegegnet. «Anam Cara» ist gälisch für Seelenfreund. Irland ist meine Herzheimat und gehört zu meinen Seelenfreunden. Immer wieder kehre ich dorthin zurück und tanke auf, was ich kaum in Worte zu fassen mag. Go raibh maith agat, ‚ Éire. Danke.
An Irish Blessing
May the road rise up to meet you.
May the wind be always at your back.
May the sun shine warm upon your face;
The rains fall soft upon your fields and until we meet again,
May God hold you in the palm of His hand.