Ressourcen für emotionale Notfälle für dich und deine Liebsten
Esther Guggisberg
Das Leben geschieht. Und manchmal geschieht etwas – eine Nachricht, ein Beschluss, eine Trennung, ein Todesfall, eine Diagnose, ein Schicksalsschlag – etwas, das dich aus der Bahn wirft. Du findest dich im Strudel deiner Emotionen wieder und weisst nicht mehr, wohin mit dir. Oder jemandem aus deinem Umfeld geht es nicht gut und du möchtest deine Unterstützung anbieten.
Für körperliche Beschwerden haben wir zuhause einen Notfallkasten – und können Ärzte oder die Ambulanz anrufen. Für emotionale Notfälle habe ich dir folgenden Notfallkasten zusammengestellt:
Emotionaler Notfallkasten für dich
Vertrauensperson informieren
Wenn etwas Erschreckendes geschieht oder dich ein Ereignis emotional stark aufwühlt, ist es gut, wenn du deine Vertrauensperson informierst. Jemanden, der/die dich gut kennt und genauso liebt, wie du bist. Da du vielleicht verwirrt bist, ist es entscheidend, dass diese Person dir Halt geben kann und dich nicht weiter verunsichert oder selbst instabil ist. Es tut gut, sprechen zu können und zu wissen, dass du nicht alleine bist, dass jemand da ist und dich wahrnimmt, dir gut zuredet und für dich da ist.
Körper bewegen
Bewege deinen Körper – wenn keine körperlichen Beschwerden da sind. Oftmals fallen wir nach dem Schreckmoment in eine Erstarrung. Versuche, deinen Körper zu bewegen. Vielleicht kannst du wippen oder dich sogar leicht schütteln. Das hilft deinem Körper, Stresshormone abzubauen. Indem du auch umherschaust, d.h. deine Augen aus der Erstarrung befreist, regst du deine Verarbeitung im Gehirn an. Das Klopfen der Thymusdrüse (unter Brustbein/Schlüsselbein) mit der aufgefächerten Hand aktiviert dein Immunsystem.
wingwave-App und Musik
Die kostenlose App von wingwave (erhältlich im App-Store) enthält ein entspannendes Lied, welches du dir über Kopfhörer anhören kannst. Die Klänge, welche abwechselnd dein rechtes und linkes Ohr anklingen, aktivieren die bilaterale Hemisphärenstimulation im Gehirn und helfen bei der Verarbeitung von stressenden Emotionen. Weitere Musikstücke kannst du auch im App-Store kaufen.
Raus an die frische Luft und in die Natur
Die Bewegung an der frischen Luft unterstützt deinen Organismus und hilft bei der Bewältigung von Stress. Die sauerstoffreiche Luft im Wald, der weiche Boden, der angenehme Duft von Wald und Wiese, Sonnenstrahlen, ein leichter Wind, manchmal aber auch der schützende Nebel oder klärender Regen sind Balsam für deine Seele. Die Natur nimmt dich an, so wie du bist. Sie heisst dich jederzeit willkommen, spendet dir Trost und lässt dich Kraft tanken. Die Symbole der Natur, die Begegnung mit Tieren, solche magischen Momente sind wahre Heilmittel.

Emotionen zulassen
Deine Emotionen kommen. Sie sind schon da, bevor du überhaupt einen klaren Gedanken fassen kannst. Lasse sie zu und lasse sie fliessen. Tränen sind ein Heilmittel des Körpers. Deine Emotionen sind ganz natürliche Körperreaktionen auf innere und äussere Reize. Wenn du sie zulässt und fühlst, dann verändern sie sich. Also nicht wegdrücken, doch auch nicht darin versinken. Es hilft, wenn du darüber sprechen kannst, und auch, wenn du Gefühle und Gedanken für dich aufschreibst. Das Schreiben verschafft Klarheit und eine gesunde Distanz. Übrigens, auch innere Leere und Taubheit ist ein Gefühl. Bleibe bei dir, es verändert sich ständig und führt schliesslich zur inneren Klärung und Reinigung.
Musik
Und damit meine ich nicht übertrieben Dramatisches, das dich triggert. Sondern alles, was dir gut tut, was deine Emotionen fliessen lässt und auch was deine Stimmung hebt. Es ist gut, deine Emotionen zulassen zu können. Musik kann dir dabei helfen. Und die Musik hilft dir auch, deinen inneren Zustand zu verändern. Bestimmt hast du für dich Lieblingslieder, die dir Geborgenheit, Vertrauen, Leichtigkeit und Zuversicht schenken.
Düfte, ätherische Öle
Düfte und ätherische Öle beeinflussen deine Stimmung. Vielleicht hast du Lieblingsdüfte, die du in deiner Nähe hast oder sogar bei dir trägst, die deine Stimmung heben. Beruhigend und entspannend wirkt der Klassiker Lavendel, aber auch Rose, Melisse, Sandelholz, Weihrauch, Zedernholz und Fichtennadel. Erhellend und erfrischend wirken Minze, Zitrone, Orange und Rosmarin. Du kannst dich auch jederzeit im Fachgeschäft beraten und dir deinen persönlichen Wohlfühlduft zusammenstellen lassen.
Viel Wasser trinken
Auch ein zu wenig hydrierter Körper steht zusätzlich unter Stress und Anspannung. Unter Stress schüttet der Organismus viele Hormone aus, welche abgebaut und ausgeschwemmt werden müssen. Wasser reinigt und belebt den Körper. Also trinke genug Wasser und Tee und spüle deinen Körper durch.
Gesunde Ernährung und Unterstützung
Appetitlosigkeit kann unter Stress eine Folge sein. Schaue, dass du vitalisierende Lebensmittel zu dir nimmst. Viel frisches Gemüse und Obst, Schonkost, etwas Warmes, das dich stärkt und dir Kraft gibt. Lasse dich auch bekochen und verwöhnen. Es hilft, wenn du dich nicht immer um alles selbst kümmern musst. Nimm also auch liebevolle Angebote deiner Freunde und/oder Familie an.
Kopf durchlüften
Wenn sich im Kopf alles dreht und du bereits alles zerredet hast, kommt der Moment, wo du abschalten darfst. Sobald du merkst, dass es dir nichts mehr bringt, weiter darüber zu sprechen oder dir den Kopf zu zerbrechen, darfst du dich ruhig auch mal ablenken. Das bedeutet nicht, dass du verdrängst oder gar nachlässig bist. Im Gegenteil, einen Break zu schaffen, gibt nötigen Abstand, um dich dann, wenn du wieder mehr Kraft hast – und auch dein Körper einen Teil des Stresses abgebaut hat – wieder klarer denken zu können.
Coaching
Hast du einen guten Coach? Dann ist jetzt der Zeitpunkt, seine/ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Coaches mischen sich nicht mit der persönlichen Meinung ein. Und sie sind auch keine Berater. Coaches unterstützen und begleiten dich in deinem persönlichen Prozess, ohne richtungsweisend einzugreifen oder dich zu beeinflussen.
Weitere Ressourcen aktivieren
Alles, was dir gut tut und was dir hilft, ist nützlich. Lieblingsorte, Lieblingsserien, Lieblingsmenschen, Lieblingshobbies… Gewohnheiten, die dir Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, dich stärken, dich zum Lachen bringen. Aktiviere deine Ressourcen im Innen und Aussen – alles, was dir gut tut.
In einem zweiten Schritt:
- Kannst du Informationen sammeln, die dir helfen, das Thema zu klären.
- Kannst du dich bei Beratungsstellen, Vereinen, Ansprechpersonen zu deinem Thema melden und dich von geschulten Personen beraten lassen. Höre auf dein inneres Gefühl, wo es für dich stimmt und du dich wohlfühlst.
- So dass du dich langsam sortieren, einmitten und Klarheit gewinnen kannst.
- Damit du auch weisst, was du als Nächstes tun möchtest und die dazu nötigen Ressourcen aktivieren, dir Hilfe und Unterstützung holen und die Herausforderung angehen kannst.
Folgendes bitte vermeiden
#1 Don’t: Mit zu vielen Menschen darüber sprechen
Wenn wir verunsichert sind, neigen wir dazu, im Aussen nach Sicherheit und Klarheit zu suchen. Was wir unbewusst allerdings suchen, ist Sicherheit und Bestätigung für etwas, was bereits in uns selbst ist. Je mehr Meinungen du involvierst, desto zerstreuter wird deine eigene Energie. Denn jede Person übergibt dir mit ihrer Meinung auch ihr eigenes Weltbild, ihr – vielfach unbewusstes – Erleben aus eigenen Erfahrungen – und das manchmal kompakt in einem Satz, der dich treffen kann, den man eigentlich jedoch komplett auseinandernehmen müsste. Wende dich nur Menschen zu, denen du wirklich vertrauen kannst. Und wenn du merkst, dass dich eine Aussage aus der Bahn geworfen hat, ordne es der dementsprechenden Person zu.
#2 Don’t: Impulsentscheidungen treffen
In Panikmomenten und unter akutem Stress landet dein Gehirn im Kampf-, Flucht- oder Totstellreflex. Auch du hast eine instinktive Schutzreaktion, die dich unter emotionalem Stress überkommt. Halte dich selbst aus und triff jetzt keine wichtigen Entscheidungen. Wenn es darum geht, dich vor jemandem oder etwas zu schützen, hole dir dazu Hilfe von Vertrauenspersonen, die deine Situation kennen und dir helfen können, wenn sofort eine Entscheidung nötig ist.
#3 Don’t: Sich von esoterischen oder gläubigen Menschen beraten lassen
Beratungen von Fachpersonen können dir in schwierigen Situationen helfen. Doch ungeschulte und unprofessionelle Hilfe, die sich lediglich auf Glauben stützt, ist äusserst heikel. Wenn du verletzlich, offen, verunsichert und hilfesuchend bist, haben selbsternannte Gurus oder vermeintlich Wissende aus esoterischen und gläubigen Richtungen leichtes Spiel. Dabei kommen ihre Aussagen aus ihrem eigenen Weltbild, das sich sehr wahrscheinlich nicht in jedem Punkt mit deinem deckt, aber dessen Annahme einen Absolutismus erfordert, der dir unter Umständen dein eigenes Gefühl und deine eigenen Bedürfnisse abspricht. Mit der Hölle, Karma oder anderen Konsequenzen zu drohen, ist ein beliebtes Manipulationswerkzeug. Angst, Schuld und Scham können die Folge sein und dich schwer belasten. Also halte solche Menschen weit auf Abstand – ausser dein Glaube/Gedankengut deckt sich zu 100% mit dem beratenden Menschen – was wirklich äusserst, äusserst selten ist. Du kannst und sollst deine Eigenverantwortung nicht abgeben.
#4 Don’t: Ignorieren und verdrängen
Manchmal wünschst du dir vielleicht, deine Gefühle einfach abwürgen zu können. So kann es sein, dass du deine Selbstverantwortung nicht nur durch Glaubenskonzepte abgeben willst, sondern einfach verdrängen möchtest. So tun, als wäre nichts geschehen, zu verdrängen und zu ignorieren, macht das Problem auf längere Sicht nur grösser. Gib dich nicht Kompensationsverhalten oder Süchten hin. Nimm dich selbst und deine Gefühle ernst.
Emotionale Unterstützung für deine Liebsten
Wenn jemand aus deinem Umfeld Unterstützung braucht, kannst du Folgendes tun:
Zuhören ohne Wertung
Das ist selbstredend. Höre zu und gib deinem Gegenüber die Gelegenheit auch das auszusprechen, wovor er/sie Angst hat, sich schämt oder schuldig fühlt. Du spürst, dass es dir etwas auslöst, doch reflektiere es für dich selbst, so dass du nicht die Aufmerksamkeit auf dich ziehst.
Mitgefühl schenken
Auch darfst du deine Gefühle zeigen. Mitfühlen ist nicht mitleiden. Lasse dich nicht gehen, ziehe die Person nicht runter und schaue auch nicht auf sie herab. Bleibe im Mitgefühl auf Augenhöhe, fühle dich ein und zeige deine ehrliche Anteilnahme und dein Verständnis.
Inputs geben
Wenn es gefragt wird, erzähle von dir, vielleicht teilst du eine Erfahrung oder Wissen zu diesem Thema. Gehe damit sehr sparsam um, damit du nicht auf dich ablenkst. Es geht jetzt um deine/n Liebste/n.
Wichtig: Lasse Plattitüden weg. Sätze wie «Das wird schon wieder.» oder «Es hat sicher einen Sinn.» usw. sind erst einmal einfach fehl am Platz. Es sind sogenannte Ventilsätze, Sätze, die wir gebrauchen, um inneren Druck – vor allem bei uns – abzubauen. Auch wenn du es «gut meinst», kann das die andere Person treffen, verunsichern und auch verletzen. Niemand hat das recht, zu behaupten, so etwas hätte einen Sinn oder sei für etwas gut. Auch wenn die Person im Nachhinein einen Sinn darin findet oder es zu einer Entscheidung geführt hat, ist es zu früh und somit grenzüberschreitend, dort so etwas hineinzuinterpretieren.
Präsenz zeigen
Zeige, dass du da bist, auch wenn du nicht immer physisch da bist. Schicke liebevolle Nachrichten, rufe immer wieder mal an und schenke deinem Gegenüber das Gefühl, dass jemand da ist und sie/er nicht alleine ist.
Ablenken
Liegt deine Stärke darin, etwas zu unternehmen? Dann darfst du auch mal ein erwünschtes Ablenkungsprogramm starten. Du weisst, was deinem Liebsten / deiner Liebsten gut tut, was ihm/ihr Freude bereitet. Setze es um. Auch wenn nicht immer gleich positive Reaktionen kommen, ist es ein Versuch wert. Und ja, auch der gute Gedanke dahinter zählt. Aufmerksamkeit und Zuwendung sind in solchen Zeiten wichtig. Höre einfach auch genau zu, was diese Person sagt und was sie braucht.
Schützen und unterstützen
Vielleicht erfordert die Situation, dass du dich schützend vor jemanden stellst oder die Person in Sicherheit bringst. Scheue dich nicht vor Zivilcourage. Es ist etwas, was diese Gesellschaft dringend braucht. Wenn dein Gegenüber sonst immer so stark, selbstbewusst und unabhängig ist, braucht sie/er im Moment vielleicht auch einfach Hilfe und Unterstützung. Biete diese nicht nur an, setze sie um. Koche – denn essen müssen wir alle, hilf bei Erledigungen, nimm Aufgaben ab. Du merkst sofort, mit was du Erleichterung schenken kannst. Verlasse dich auf dein Bauchgefühl und die Reaktion deines Gegenübers.
Wir alle dürfen Hilfe anbieten und Hilfe annehmen. Gemeinsam heilen wir.
